Dieser Artikel ist in der Ausgabe 39/2013 der Fachpublikation “DER ERDSTALL” erschienen und wird hier publiziert, um ihn einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Das Alter der Erdställe
Josef Weichenberger
Einleitung
Seit sich ab 1880 die Forschung intensiver mit den Erdställen beschäftigt, stellt sich die Frage, wie alt diese unterirdischen Anlagen sind. Wann tauchen diese unterirdischen Gänge mit den charakteristischen Schlupfen auf, in welchem Jahrhundert ist ihre „Blütezeit“ und wann verschwinden sie wieder?
Die geographische Eingrenzung wird in dieser Arbeit auf das deutschsprachige Gebiet gelegt, insbesondere auf jenen Raum, in dem diese unterirdischen Objekte als „Erdställe“ bezeichnet werden.
Berücksichtigt wurden die Forschungsergebnisse zu jenen Objekten, die als Erdställe anzusprechen sind. Definitiv unbearbeitet blieben beispielsweise Wasserstollen, Bergbaue, Stollen, Tunnel, Kelleranlagen, Sandabbaue, u.ä.. Dieser Fokus ermöglichte es, sich auf die Altersfrage der Erdställe zu konzentrieren und in dieser Zusammenschau klare Aussagen und Erkenntnisse herauszuschälen.
Problematik, Methodik
Bei der Beurteilung der zeitlichen Einordnung der Erdställe stellt sich die Frage, welche Methode zielführend ist. Die Schwierigkeit liegt darin, dass die Konstruktion und die Bautechnik der Erdställe es nicht zulassen, die Anlagen auf Grund ihrer baulichen Erscheinungsformen einer bestimmten Zeit zuzuordnen. Auch schriftliche Aufzeichnungen über die Errichtung der Erdställe fehlen.
Sehr fundierte Daten zu unserer Fragestellung liefern archäologische „Befunde“. Als „Befund“ wird die Gesamtbeurteilung von Fund, Fundsituation und Fundumstände bezeichnet. Wenn bei archäologischen Grabungen Erdställe angeschnitten werden, dann können sie in die Gesamtsituation des Siedlungsplatzes eingebettet werden. Dies ermöglicht auch Zuordnungen zum frühestmöglichen Baubeginn (lat.: terminus post quem, „Zeitpunkt nach dem“) der Erdställe. Leider gibt es nur wenige archäologische Erdstall-Grabungsbefunde. Das Hauptaugenmerk lag bei den archäologischen Grabungen meist nicht auf der Erdstall-Frage, die unterirdischen Anlagen waren meist nur zufällig entdeckte „Begleiterscheinungen“. Eine explizit auf die Erdstall-Frage ausgerichtete archäologische Grabung wäre wünschenswert. [1]
Eine Schwierigkeit in der zeitlichen Einordnung der Erdställe liegt auch in der klaren Abgrenzung gegenüber anderen unterirdischen Anlagen. Hier stößt man auf das Thema der Typologie der Erdställe. Was genau ist ein Erdstall und was nicht?
In der Erdstallforschung der letzten beiden Jahrzehnte kristallisierte sich heraus, dass die Erdställe vor allem durch den sogenannten „Schlupf“ am besten gekennzeichnet sind. (Abb. 1)
Der Schlupf grenzt die Erdställe am deutlichsten gegenüber anderen unterirdischen Objekten, wie Wassergänge, Keller, Bergwerke, Sandabbaue, Stollen, Tunnel, Silos, Fruchtgruben etc. ab. Weitere „Erkennungsmerkmale“ sind die räumliche Enge – die Gänge sind meist nur 60 bis 80 cm breit und niedrig – der winkelige Gangverlauf, Sitznischen oder Sitzbänke sowie die Luftröhren und Lampennischen. [2]
Erdställe wurden im Laufe der Zeit immer wieder bei der Errichtung von Kellern miteinbezogen und integriert. Deshalb sind manche alte kleinräumige nicht ausgemauerte Keller nur durch die für die Erdställe typischen Schlupfe von diesen unterscheidbar.
Funde, die in den Erdställen gemacht werden, belegen die Benützung der Anlagen. Menschen, die sich im Erdstall aufhielten, haben diese Spuren zurückgelassen.
Anders verhält es sich bei den Funden aus dem Einfüllmaterial. Sie geben in der Regel Auskunft über die Zeit der Verfüllung (= Außerbetriebsetzung) eines Erdstalls.
Aus einigen Erdställen gibt es C14-datierte Holzkohlenstücke. Diese Holzkohlenstückchen stammen mit großer Wahrscheinlichkeit von Kienspänen. Bei der C14-Datierung von einem Kienspan ist zu beachten, dass der Span meist aus einem harzreichen Baumstamm gewonnen wurde und folglich bei einem beispielsweise 150 Jahre alten Baum entweder aus dem Bereich des Kerns oder des Randes stammen kann. Der Kienspan kann also aus der Baumstamm-Mitte stammen und bereits 150 Jahre alt sein, wenn er als Leuchtkörper im Erdstall verwendet wurde. Die C14-Datierung gibt das Alter des Holzes an und nicht den Zeitpunkt der Verwendung als Kienspan.
Die kleinen Holzkohlenstücke finden sich am Boden, im sogenannten „Trethorizont“. Sie zeugen also von der Benützung der Anlagen. Wir verfügen aber auch über datierte Holzkohle aus den Bau(hilfs)schächten. Die Bauschächte wurden bei der Errichtung der Erdställe angelegt und in dem Moment, in dem die unterirdische Anlage fertig war, mit einer Trockenmauer verschlossen (selten auch mit einer Steinplatte). Funde aus den Bauschächten können also die Fertigstellung eines Erdstalls belegen.
Sehr hilfreich bei den Recherchen zum Alter der Erdställe waren die entsprechenden Beiträge in der vorliegenden Fachzeitschrift „Der Erdstall“, die von Walter Kick erstellte „Erdstall-Quellen-DVD“ (herzlichen Dank für die umfangreiche Arbeit!), die persönlichen Archivaufzeichnungen, die Vorträge und Diskussionen bei den jährlichen Erdstalltagungen und die persönlichen Erkenntnisse bei den vielen Befahrungen im Laufe meiner 35-jährigen Erdstall-Forschungstätigkeit.
Untersuchungsergebnisse
C14-Datierungen
Die mittels C14-Datierung bestimmte Holzkohlen-Probe aus Trebersdorf [3] stammt aus der Zeit zwischen 950 und 1050 nach Christus. [4]
Die beiden Proben aus dem Erdstall Höcherlmühle in Kühried [5] erbrachten Daten aus dem Zeitraum von 991 bis 1163 und 954 bis 1071, [6] wobei der Grabungsbefund im freigelegten Erdstall zeigt, dass der Siedlungsplatz um 1200 aufgegeben wurde, wahrscheinlich weil das darüber stehende Haus abbrannte. [7]
Die Datierung der Holzkohle-Proben aus dem Erdstall in Rot am See, Baden-Württemberg, weist auf die Zeit zwischen 1034 und 1268. Durch die Befundsituation ergibt sich, dass sich damit die Bauzeit der Durchschlupfe im Erdstall und somit des Erdstalls selbst bestimmen lässt.[8]
Eine Holzkohle-Probe aus dem Bauschacht im Erdstall Bauernhofer in Bad Zell (Bezirk Freistadt, Oberösterreich) lässt sich in die Zeit zwischen 1030 und 1210 einordnen.[9] (Abb. 2)
Auch vom Erdstall Doblberg, Gemeinde Glann, Landkreis Ebersberg, Bayern, liegen C14-Daten von einem Holz aus einer Nische beim südlichen Vertikalschlupf vor. Es stammt aus der Zeit zwischen 1020 und 1160 nach Christus. Andreas Mittermüller schreibt dazu: … das würde heißen, dass, vorausgesetzt die Holzeinbauten gehören tatsächlich zur „Erstausstattung“ des Erdstall, die Anlage in der Zeit um 1100 n. Chr. entstanden ist.[10]
Holz aus dem Erdstall in Gramastetten
Im Erdstall Oberhofer in Gramastetten, Oberösterreich, konnten am Boden mehrere Hölzer freigelegt werden, die eine wassergefüllte Grube abdeckten. (Abb. 3) Diese Hölzer bestanden aus dünnen Rundlingen, auf denen sich auch noch die sogenannte Waldkante (der zuletzt zugewachsene Jahrring unter der Rinde) erhalten hatte. Eine erste dendrochronologische Bestimmung erbrachte aber kein Ergebnis, weil die Hölzer zu wenige Jahrringe aufwiesen, um sie seriös datieren zu können. Erst als von einem Holzstück die C14-Datierung vorlag, konnte auch das restliche Holz mittels Dendrochronologie bestimmt werden. Wegen der noch vorhandenen Waldkante war sogar ein exaktes Fälldatum der Bäume zu ermitteln.
Laut C14-Datierung stammt das Holz aus dem Erdstall Oberhofer in Gramastetten aus der Zeit zwischen 1222 und 1283.[11]
Die dendrochronologische Auswertung des Holzes ergab folgende Ergebnisse:
1 Tanne, gefällt im Jahr 1183
1 Eiche, gefällt im Jahr 1184
1 Tanne, gefällt im Jahr 1184
1 Tanne, gefällt im Jahr 1185
1 Fichte, gefällt im Jahr 1239[12]
Schade ist, dass genau das jüngste Holzstück für die C14-Datierung ausgewählt wurde, aber das Ergebnis ist eindeutig und legt die Vermutung nahe, dass der Erdstall entweder kurz nach 1185 oder 1239 errichtet worden ist.
Verbindung Erdstall mit darüber befindlichem Bauwerk
Bei jenen Erdställen, deren ursprünglicher Einstieg noch vorhanden ist (oder rekonstruiert werden kann), ist die Verbindung zum darüber befindlichen ursprünglichen Gebäude bzw. Bauwerk interessant. Besonders bemerkenswert sind jene Erdstallanlagen, die sich in mittelalterlichen Wehranlagen befinden. Bei den archäologischen Grabungen im Hausberg von Gaiselberg (Stadtgemeinde Zistersdorf, Bezirk Gänserndorf, Niederösterreich) (Abb. 4) konnte ein im 13. Jahrhundert errichtetes „Festes Haus“ festgestellt werden.
Von diesem aus war eine unterirdische Erdstall-Kammer zugänglich, von der mehrere Gänge wegführten. Der Hausberg geht auf einen Wehrbau aus der Zeit um 1160 zurück. Der Erdstall ist höchstwahrscheinlich der im 13. Jahrhundert erfolgten zweiten Bauphase des Hausberges zuzuordnen, in der auch das „Feste Haus“ (darüber) errichtet wurde. Leider gibt es keinen eindeutigen stratigraphischen Beleg, der eine exakte Zuordnung des Erdstalls ermöglichen würde. Aber der Grabungsbefund brachte klar die Erkenntnis, dass der Erdstall und die Wehranlage zusammen gehören und jeweils ein wesentlicher Bestandteil der Anlage sind.[13]
Eine ähnliche Situation trifft man am Hausberg von Großriedenthal (Bezirk Tulln, Niederösterreich) an, wobei der Erdstall unter diesem hochmittelalterlichen Burghügel noch zugänglich ist[14]. Auch in den Hausberganlagen von Kronberg und Stronegg (beide: Bezirk Mistelbach, Niederösterreich) sind Erdställe bekannt.[15] Der Erdstall unter der hochmittelalterlichen Wehranlage von Althöflein[16] (Gemeinde Großkrut, Bezirk Mistelbach, Niederösterreich) dürfte in spätmittelalterlichen/neuzeitlichen Weinkellern aufgegangen sein. Es fällt hier aber auf, dass in diesem ausgedehnten Gang- und Kammernsystem die für Erdställe so typischen Schlupfe bzw. Engstellen fehlen, weshalb Zweifel bestehen, ob es sich hier wirklich um Erdstallanlagen handelt.
Zugänglich ist auch noch der Erdstall in der Wehrkirche von Kleinzwettl (Bezirk Waidhofen an der Thaya, Niederösterreich), in der vom Kirchenraum aus ein 52 m langes Gangsystem zugänglich ist.[17] Diese Wehrkirche ist der (in unsere Zeit überkommene) Rest einer (hoch)mittelalterlichen Wehranlage.
Auch die enge Verbindung der Erdställe mit der bäuerlichen Hofstatt ist augenfällig. Der Historiker und Archäologe Oswald Menghin schrieb bereits 1916: Ich behaupte ausdrücklich eine innige Verbindung, die deutliche Zusammengehörigkeit von Hofstatt und Erdstall, aus der sich die Gleichzeitigkeit der Anlage unmittelbar ergibt … oft genug ist festgestellt, daß der Eingang der künstlichen Erdhöhle im Keller, ja im Hause selbst (sogar hinter dem Bett) liegt und der ganze Bau somit klärlich als Bestandteil der Hofanlage aufzufassen ist.[18]
Auch Karl Schwarzfischer hob die „Lokalidentität zwischen Erdstall und Hofstatt“ hervor.[19]
Mehrere alte Bauernhäuser, unter denen sich ein Erdstall befindet, lassen sich urkundlich sehr weit zurückverfolgen. Ein Beispiel:
Das sogenannte Mittermayrgut in Pelmberg Nr. 2 hat sich in einem sehr ursprünglichen Zustand erhalten und wurde deshalb ein Freilichtmuseum (Gemeinde Hellmonsödt, Bezirk Urfahr Umgebung, Oberösterreich). In der Stube geht eine Öffnung hinunter in den Erdstall. Die älteste Urkunde zum Hof stammt aus dem Mittelalter: Am 24. April 1325 hatte Gundaker von Starhemberg seinem Lehensmann Aleram von Wildberg den Hof datz Pelnperge verpfändet.[20] (Abb. 5)
Die langjährigen Erfahrungen als Erdstallforscher bestätigen immer wieder, dass Bauernhöfe unter denen sich Erdställe befinden, im Ursprung ins Mittelalter zurückreichen.
Erdställe in Wüstungen
Für die Erdstallforschung besonders interessant sind die archäologischen Grabungen in Wüstungen (abgekommene Siedlungen). In der Wüstung Hard (Gemeinde Thaya, Bezirk Waidhofen an der Thaya, Niederösterreich) legte man unter dem sogenannten Herrenhof ein 8,4 m langes unterirdisches Gangstück frei, das am Ende verstürzt ist. Ein nahe gelegener älterer Siedlungsplatz wurde um 1230/40 aufgegeben und in der Folge das aus zehn Bauernhäusern und einem Herrenhof bestehende Sackgassendorf Hard errichtet. Der Herrenhof mit dem Erdstall ist ein wesentlicher Bestandteil des ab der Mitte des 13. Jahrhunderts planmäßig angelegten Rodungsdorfes (ca. 1250 bis 1280). (Abb. 6 u. 7) Der Herrenhof weist mehrere Bauphasen auf, der Erdstall liegt im Gründungsbau und dürfte daher wohl noch vor 1300 angelegt worden sein. Im Verlaufe des 14. Jahrhunderts wurde dieses Dorf nach und nach verlassen und der einstige Siedlungsplatz verwaldete.[21]
Bei der Ortswüstung von Auersthal/Aichenstauden (Gemeinde Auersthal, Bezirk Gänserndorf, Niederösterreich) konnte durch die archäologische Grabung und die Auswertung der urkundlichen Quellen belegt werden, dass die Siedlung ab dem 12. Jahrhundert anzunehmen und spätestens 1499 die Ortschaft wüst gefallen ist. Die intensivste Siedlungstätigkeit lag im späten 13. und beginnenden 14. Jahrhundert. In diesen zeitlichen Rahmen gehören auch die hier aufgefundenen Erdställe.[22]
Bei der archäologischen Grabung in der Wüstung von Pellendorf (Gemeinde Gaweinstal, Bezirk Mistelbach, Niederösterreich) wurde auch ein Erdstall aufgedeckt. Dieser liegt im Areal einer spätmittelalterlichen Besiedlung.[23]
Vergleichbare Befunde lieferten die Grabungen in den Wüstungen von Pfaffenschlag und Mstěnice in Mähren, wo erdstallähnliche kellerartige unterirdische Anlagen zum Vorschein kamen. Diese Siedlungen wurden in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts neu angelegt und im 15. Jahrhundert wieder aufgegeben.[24]
Belege für die Benützung der Erdställe im Laufe der Jahrhunderte
Funde in den Erdställen
Es ist immer wieder die Meinung zu hören, die Erdställe seien fundleer. Überblickt man aber die Erdstall-Literatur, dann stößt man auf eine Reihe von Funden in den Erdställen. Diese sind also nicht fundleer sondern lediglich fundarm. Bei den Funden ist auch auf die Zusammenhänge, den Fundkontext und die Stratigraphie zu achten, um gesicherte Ergebnisse zu erhalten. Die Funde belegen die in den verschiedenen Jahrhunderten durchgeführten Erdstall-Befahrungen.
Karl Schwarzfischer legte 1980 eine umfangreiche Auswertung der Kleinfunde in den Erdställen vor.[25] Schwarzfischer führt in seiner Liste unter anderem Tonscherben, Keramikgefäße, Webstuhlgewichte, Lampen, Geldmünzen, Messer, Pfeilspitzen, Nägel, Lanzenspitzen, Spieße, Beile, Schlacke, Hauen, Schlagbolzen, Glöckchen, Ringe, Schwerter, Pickel, Sensen und Sicheln, Gabeln, Pflugschar, Mühl- bzw. Mahlsteine, Wetzsteine, Feuersteine, Knochen, Eierschalen und Brandüberreste wie Holzkohle und Asche an. Bei den Funden ohne Wert dominieren die Tonscherben bzw. zerbrochenen Gegenstände aus dem Hausrat mit 53 %, gefolgt von Tierknochen 24 %, Brandresten 15 % und Abfällen 8 %. Bei den Funden mit materiellem Wert machen der Hausrat 46 %, Münzen, Ringe etc. 31 %, Werkzeuge und Geräte 18 % und Waffen 6 % aus.[26]
Auch von Oberösterreich existiert von 1991 ein Verzeichnis der Funde in den Erdställen.[27]
In einem Erdstall in Pregarten (Bezirk Freistadt, Oberösterreich) fanden sich an einem Gangende ein hölzerner Schemel, eine Feuerstelle und Keramikreste. Es handelt sich dabei um Bruchstücke von Gefäßen mit Bodenzeichen aus der Zeit um 1100.[28] (Abb. 8)
In einem 1992 freigelegten Erdstall in Hölzing (Gemeinde St. Agatha, Bezirk Grieskirchen, Oberösterreich) fanden sich Keramikbruchstücke von Gefäßen des 12. Jahrhunderts.
Der Besitzer des Gutes „Burgstall“ (Gemeinde Mehrnbach, Bezirk Ried, Oberösterreich) ließ 1904 einen Hügel einebnen, dabei stieß man auf einen Erdstall. In einem niedrigen Gang stand ein 35 cm hoher Topf. Bei den Grabungsarbeiten wurde das Gefäß leicht beschädigt. Es kam 1907 an das Oberösterreichische Landesmuseum, wo es nun in der Volkskundeabteilung unter der Inventarnummer F 14754 verwahrt wird. Der Topf wird in die Zeit um 1300 datiert. (Abb. 9)Bei dem abgegrabenen Hügel mit dem Erdstall handelte es sich um einen mittelalterlichen Burghügel (Hausberg, Motte), der im Jahr 1220 als „Purchstal“ erwähnt wird.[29]
1969 brach bei Straßenarbeiten vor dem Bauernhof in Frankenberg Nr. 1 (Gemeinde Langenstein, Bezirk Perg, Oberösterreich) das Hinterrad eines Lastwagens in einen Erdstall ein. Nur der Baggerführer wagte es einzusteigen. Im Inneren fand er ein Tongefäß mit Hühnerknochen und Eierschalen. Das Gefäß stammt aus der Zeit um 1600. Dieser Fund ist im Zusammenhang mit den kriegerischen Ereignissen während der Bauernkriege besonders bemerkenswert.
Denn Anfang Mai 1636 verschanzten sich hier die letzten aufständischen Bauern im Frankenberg-Kircherl, das etwa 200 m vom Hof entfernt liegt. Die kaiserlichen Truppen stürmten am 12. Mai 1636 die Kirche, wobei über 300 Bauern niedergemetzelt wurden oder in der Kirche verbrannten. Es ist also wahrscheinlich, dass sich bei diesen kriegerischen Handlungen Bewohner des Bauernhofes im Erdstall versteckt hielten und den Topf mit einigen Nahrungsmitteln mitgenommen hatten.
Einige Erdstallfunde birgt das Krahuletz-Museum in Eggenburg, Niederösterreich, so z.B. einen großen mittelalterlichen Topf aus dem Erdstall in Straning und einen birnenförmigen Weinheber aus Glas aus einem Erdstall zu Kleinjetzelsdorf.[30]
Im Erdstall von Stützenhofen (Gemeinde Drasenhofen, Bezirk Mistelbach, Niederösterreich) fanden sich im unteren Begehungshorizont eingelagert die Bruchstücke von mindestens drei grautonigen Gefäßen aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts. Auch verschiedene Ritzungen gibt es an den Wänden, so ein 20 cm hohes Strichmännchen mit hohem spitzen Hut mit breiter Krempe, in der rechten Hand ein mäßig gebogener Säbel, dann ein 14 cm hohes Männchen mit einem Krummsäbel in der rechten Hand. (Abb. 10) Der Bearbeiter Johannes-Wolfgang Neugebauer schreibt dazu: Die unterschiedlich ausgeführten und erhaltenen Darstellungen sind natürlich nicht als Kunstwerk zu werten, sondern als unmittelbare Relikte der Leute, die sich in Notzeiten in den Erdställen aufgehalten haben. Sie dürften ihre Bedroher, die sie schmerzlich aus eigener Anschauung kannten, bildlich festgehalten haben. Den Ritzungen kommt daher einige historische und volkskundliche Bedeutung zu. … Vergleichbar sind jedoch Ofenkacheln mit Kriegerdarstellungen, darunter solche mit Krummsäbel, die ab dem 16. Jahrhundert nachgewiesen sind. In Verbindung mit den Keramikfunden des ersten Horizonts käme eine solche Datierung in Betracht..[31]
Im Folgenden ein paar Fund-Belege aus oberösterreichischen Erdställen:
Bezirk Braunau:
- Aspach 10: Keramik aus dem 16. Jahrhundert
- Pischelsdorf, Landerting 5: Keramik aus der 2. Hälfte des 19. Jh.
Bezirk Freistadt:
- Pregarten: Melkschemel, Holz, Keramikbruchstücke aus der Zeit um 1100
- Wartberg ob der Aist, „Flehlucka“ in Reitling: Tonscherben, Lanzenspitze, Messer
- Bad Zell, Brawinkl 22: eine bergmännische Keilhaue
- Bad Zell, Maierhof 18: Keramik 19. Jh.
- Tragwein, Zudersdorf 7: vermorschter Holztrog, im Einfüllmaterial Keramik von 17 verschiedenen Gefäßen, der Großteil aus dem 15. Jh., die jüngste aus dem 16. Jh.
Bezirk Grieskirchen:
- Kematen am Innbach, Burgstall 3: Weihbrunnkessel und Keramik des 17. und 18. Jh.
- St. Agatha, Hölzing 10: hochmittelalterliche Keramik
- Taufkirchen an der Trattnach, beim Kaiserbauer in Altenhof: Keramikbruchstücke (unbestimmt)
- Taufkirchen an der Trattnach, Vatersam 2: Keramikbruchstücke eines hochmittelalterlichen Schwarzhafnertopfes
- Tollet, Stein 3: Keramikbruchstücke um 1300, Holzkohle, Mahlstein
- Wendling, im Gstöttenholz: Tonscherben von Schüsseln (unbestimmt)
Bezirk Perg:
- Münzbach, im Haus Wegerer in Mollnegg: Tongefäß mit Deckel, Schwert
- Windhaag bei Perg, Karlingberg 16: im Einfüllmaterial zahlreiche Keramik aus der Zeit um 1850, vier Gefäße konnten zusammengestellt werden
Bezirk Ried im Innkreis:
- Pattigham: Lanzenspitze
- Schildorn, Ebersau: glasierte und unglasierte Keramikbruchstücke (unbestimmt)
Bezirk Rohrbach:
- Arnreit, Stierberg 10: drei Tongefäße mit Bodenzeichen, um 1300
- Arnreit Nr. 3, Atzesberger: 16 Keramikbruchstücke aus dem 12./13. Jh.
- Haslach, Rathaus: mittelalterliche Keramik
- Haslach, Pfarrfriedhof: Keramikbruchstücke mit Kerben und Wellenbandverzierung
- Neustift im Mühlkreis, Kleinmollsberg 2: mittelalterliche Keramik (Schwarzhafnerware) und glasierte neuzeitliche Tonscherben, eine bergmännische Haue, ein bearbeiteter Stein, ähnlich einem Wetzstein
- Niederwaldkirchen, Hochschopfgut in Zeißendorf: Hirschfänger um 1770
- Pfarrkirchen, Wehrbach: graphitierte Keramik und Bruchstücke mit Innenglasur, Holzkohle
- Putzleinsdorf, Hochetting: Gefäßboden ca. 1800
- Rohrbach, Wolkertsberg 12/13: graphitierte Keramikbruchstücke mit Wellenverzierung, Punktreihen, Tupfreihen, 12./13. Jh.
- Rohrbach, Schlosserhügel: mittelalterliche Keramikbruchstücke
Bezirk Schärding:
- Münzkirchen, Hötzenberg 6: Keramik von Töpfen und Deckel aus weißem Ton, Asche
- Rainbach im Innkreis, Salling 8: Keramikbruchstücke (unbestimmt)
- Schardenberg, im Friedhof: Eisenhaue
- Bezirk Steyr und Steyr Land
- Bad Hall, nahe Pfarrkirche: Knochen, 15 Keramikbruchstücke von mindestens drei Gefäßen, stark graphitiert
- Gaflenz, beim Peterbauerngut in Neudorf: Holzreste
- Steyr: drei Pfeilspitzen, Spitzhaue, halbes Hufeisen, Keramik mit Töpferzeichen
Bezirk Urfahr-Umgebung:
- Gramastetten, beim Amesberger in Hamberg: Keramikfragmente 10./11. Jh., Holzkohle
- Lichtenberg, beim Grubmüller in Neulichtenberg: glasierte Keramik und Schwarzhafnerware des 17. und. 18. Jh.
- Ottensheim, beim Vögerlgut im Weingarten: Holzkohle
- Walding, Jörgensbühel: verkohlte Getreidekörner, Kupferschlacke, uncharakteristische Keramik
Bezirk Vöcklabruck:
- Atzbach, Reichering: Schwert von 1614 aus Passauer Werkstätte
- Aurach am Hongar, Raschbach 15: Kienspanreste, Keramik von Weißhafnerware, 13. Jh.
- Neukirchen an der Vöckla, Kapplingen 4: Keramikbruchstücke, Holzkohle
- Neukirchen an der Vöckla, Spöck: ein mittelalterliches Tongefäß
- Pöndorf, Oberschwandt 3: Münze, Knochenreste, Keramikbruchstücke, Holzkohle
- Pfaffing, Oberalberting 4: spätmittelalterliche Schwarzhafnerkeramik aus dem 15./16. Jh.
Bezirk Wels-Land:
- Bachmanning, Bachmannsberg 14: Keramik von drei Plutzern und einem Henkelkrug von Weißhafnerware, 15./16 Jh. (Abb. 11)
Urkundliche Belege
Die erste urkundliche Erwähnung der Bezeichnung „Erdstall“ stammt aus dem Jahr 1449. Im Urbar der Herrschaft Asparn an der Zaya ist ein Untertan namens Methl Huendl erwähnt, der für den 4 Joch großen Acker „auf den erdstelln“ sechs Pfennig an die Herrschaft zu zahlen hat. Ein Untertan namens Tumeregker muss für sein 3 Joch großes Feld „auf den erdstelln“ ebenfalls sechs Pfennig an Abgaben an den Grundherrn entrichten, auch eine Person mit dem Namen Symin wird erwähnt, der 1 Joch auf den erdställen bewirtschaftet.[32] Es sind also insgesamt 8 Joch Acker angeführt, die den Flurnamen auf den Erdställen tragen.
Aus Langenlois, Niederösterreich, besitzen wir einen urkundlichen Beleg über die amtliche Beschau eines Erdstalls im Jahr 1580. Damals wurde um einen Erdstall gestritten, der in zwei Häuser reichte. Das Gericht legte nach dem Lokalaugenschein fest, dass der Erdstall an der Grundgrenze abzumauern ist. Den Hausbesitzern war der Erdstall also so wichtig, dass sie ihre Streitfrage durch das Gericht klären ließen.[33]
Von 1640 existiert ein Bericht über die Erfündung der Creutzgrufft und des wunderwürklichen Pronnens von Reichersdorf. Es geht dabei um die Beschreibung der Auffindung des Erdstalls von Reichersdorf. Am 11. Juli 1640 hatte ein Bauer nach Wasser gegraben und war dabei in etwa 5 m Tiefe auf einen Erdstall gestoßen. Diese Entdeckung der „Kreuzgruft von Reichersdorf“ löste einen großen Zustrom von Menschen aus, die das Erdreich des Erdstalls und das Wasser des darin angetroffenen Brunnens zu Heilzwecken verwendeten. Wenn man dem Mirakelbuch Glauben schenken will, fanden die Kranken Heilung oder Linderung bei Kreuzschmerzen, Augenleiden, Koliken, Monats- und Wochenbettbeschwerden, Gliederschmerzen, Geschwulsten und Geschwüren; ja sogar die schwarzen Blattern verschwanden. Kühe, die keine Milch mehr gaben, wurden mit dem Wasser von Reichersdorf behandelt; schwache und kranke Pferde genasen an den „heilsamen Wirkungen des Erdreichs aus dieser Kreuzgruft“; ein erblindetes Pferd wurde zum Brunnen von Reichersdorf geführt und seine Augen mit Wasser bestrichen, worauf es „in Angesicht geistlicher und weltlicher Personen sehendt“ wurde.[34]
Betroffen macht eine Totenbuch-Eintragung vom 6. August 1683, dem Türkenjahr, in der Pfarre Zistersdorf in Niederösterreich. Es sind hier jene Personen aufgelistet, die an diesem Tag in denen Erdställen erstickht sind, als im Zuge der kriegerischen Ereignisse die Stadt abgebrannt wurde. Angeführt ist unter anderem Adam Zimmermann, ein Knäblein von 2 Jahren, Sohn des Gerichtsdieners Michael, der von seiner leiblichen Mutter aus Furcht vor den Rebellen erstickt wurde, weil sie Angst hatte, dass ihr Kind durch sein Weinen und Schreien möchte alle Personen verraten, die im selben Erdstall waren.[35]
(Abb. 12 und 13)
23 Jahre später findet sich in den Zistersdorfer Sterbematriken noch folgender Vermerk: „1706, am 16. Oktober, sind in Inzersdorf in 3 Häusern Mann und Frau in den Erdställen erstickt.“
Vom Markt Drösing existiert auch ein Beleg für einen Kuruzzenüberfall: „… da der Markt Drösing in der Hungarischen Rebellion zum öfteren völlig ab- und sogar in den Erdställen ausgebrannt wurde.“
Auch die Pfarrchronik von Altlichtenwarth (Niederösterreich) berichtet von den Kuruzzeneinfällen im Jahr 1706, bei denen die ungarischen Rebellen alles zu Grunde richteten und 77 Personen in den Erdställen verblichen sind.[36]
Das Ende der Errichtung der Erdställe
Der Archäologe Josef Reitinger sieht in den neuen Schutzmöglichkeiten für die Bevölkerung und im Aufkommen der Feuerwaffen das Ende der Erdställe besiegelt. Er schreibt: Im ausgehenden Mittelalter … scheint man sie [die Erdställe], von Ausnahmen abgesehen, aufgelassen zu haben. Vielleicht boten die festeren Häuser und die über das ganze Land verstreut liegenden Burgen und Schlösser auch der bäuerlichen Bevölkerung und ihrem Viehbestand so viel Schutz, dass sie nicht mehr in den finsteren Hauslöchern Zuflucht suchen mussten. Nach der Erfindung der Feuerwaffen hätte ein Erdstall außerdem einem Angreifer kaum mehr wirkungsvoll trotzen können.[37]
Gelegentlich wird der Erdstall Höcherlmühle als Beleg für eine bewusste Verfüllung und „Außerbetriebsetzung“ eines Erdstalls bereits im Hochmittelalter angeführt. Diese Interpretation erscheint mir aber unrichtig, weil die Gesamtbeurteilung des Befundes es sehr wahrscheinlich erscheinen lässt, dass ein Holzhaus über dem Erdstall abgebrannt war und anschließend der Erdstall-Einstiegschacht mit einem Teil des Brandschutts verfüllt wurde. Es liegt die Vermutung nahe, dass das neue Haus dann nicht mehr auf der Brandruine, sondern an anderer Stelle errichtet wurde. Deshalb wäre es nur logisch und schlüssig, dass sie das „ärgerliche Loch“ im Boden zugeschüttet haben.
Ähnlich dürfte es sich beim Erdstall in Schardenberg, Bezirk Schärding, Oberösterreich, verhalten haben. Bei Aushubarbeiten riss der Bagger einen unterirdischen Gang an. Bei der Untersuchung der Anlage zeigte sich, dass der ursprüngliche Einstieg zum Erdstall in der Zeit um 1400 verfüllt worden war. Da aber unterhalb der Einfüllschicht eine Brandschicht angetroffen wurde, liegt auch hier der Schluss nahe, dass das (Holz-)Gebäude darüber um 1400 abgebrannt ist und dann der neue Hof nicht auf der Brandstatt, sondern unmittelbar daneben neu errichtet wurde.[38] Mit ein Grund könnte auch sein, dass man jetzt ein Steingebäude erbaute, weil nun das Kalkbrennen in Kalkbrennöfen auch für die ländliche Bevölkerung sinnvoll verfügbar war.
Eine deutliche Häufung der Erdstall-Verfüllungen zeigt sich im 15. und 16. Jahrhundert.[39] Wobei auch die Unruhen in dieser Zeit dazu geführt haben können, dass Häuser niedergebrannt wurden und abgekommen sind oder an anderer Stelle neu aufgebaut wurden. Beispielsweise drangen in Oberösterreich in den Jahren 1424, 1427 und 1432 Hussiten ins Mühlviertel ein und brandschatzten mehrere Orte. 1469 wurde bei einem Einfall der Böhmen der Markt Haslach niedergebrannt. 1481 brach der Krieg mit Ungarn erneut aus. 1525 gab es einen Bauernaufstand. 1532 kamen türkische Scharen bis in die Gegend von Enns und Steyr, Weyer wurde gebrandschatzt. 1567 bis 1572 kam es zu einem Robotaufstand der Bauern. 1588 bis 1592 war ein Aufruhr der Bauern, 1594 bis 1597 bzw. 1599 ein neuerlicher Bauernaufstand.
Die Erdställe hatten offensichtlich bereits damals ihre ursprüngliche Bedeutung verloren. Wenn die Besitzer keinen Bezug mehr zu diesen unterirdischen Gänge hatten, so schütteten sie den Einstiegschacht zu. Auch hier geben die Funde Zeugnis von diesen Vorgängen, die sich über mehrere Jahrhunderte verteilen.
Nach 1500 wurden Erdställe bewusst verfüllt und somit außer Betrieb gesetzt. Eine Reihe von Keramikfunden im Einfüllmaterial ist auch dem 17./18. Jahrhundert zuzuordnen. Dies dürfte auf ein kräftigeres Bevölkerungswachstum und damit verknüpft auf eine rege Bautätigkeit in diesem Zeitabschnitt hinweisen.[40]
Wurde das Haus im Spätmittealter oder der Neuzeit umgebaut, so störte manchmal das Loch im Boden und man verfüllte es mit dem gerade vorhandenen Unrat. Deshalb zeigt sich heute beim Auffinden eines verfüllten Einstiegschachtes meist ein bunter Querschnitt durch die Gebrauchskeramik aus der entsprechenden Zeit. Wenn jedoch die Bewohner eines Hauses Vertrauen in die unterirdischen Gänge hatten, nutzten sie diese im Laufe von Jahrhunderten immer wieder.
Der Göttweiger Benediktiner-Pater Lambert Karner, der sich ab 1879 intensiv der Erforschung der Erdställe widmete, stieß bei seinen Erhebungen bei den einzelnen Hausbesitzern oft auf Skepsis und Ablehnung, denn für sie waren die Erdställe ein streng gehütetes Hausgeheimnis und in ihm sahen sie einen Spion, der alles ausspähen wolle, weil der Krieg kommt.[41]
Im Mühl-, Wald- und Weinviertel wird erzählt, dass selbst noch im Zweiten Weltkrieg beim Herannahen der russischen Soldaten die Frauen in den Erdställen versteckt wurden, um sie vor Vergewaltigung zu schützen.
Auswertung, Zusammenfassung
Immer wieder wurde versucht, die Erdställe in prähistorische Zeit einzuordnen.[42] Für ein so hohes Alter fehlt bisher jeglicher seriöse Beweis.
Eine Reihe von Belegen und archäologische Befunde lassen den Schluss zu, dass die Erdställe während der mittelalterlichen Rodungs- und Besiedlungszeit angelegt wurden.[43]
Die Erdställe hatten im Hochmittelalter ihre Blütezeit. Im Spätmittelalter wurden nur noch wenige Erdställe gegraben, spätestens um 1500 scheinen sie endgültig aus der Mode gekommen zu sein.
Wie das Beispiel der „Kreuzgruft“ von Reichersdorf zeigt, wurde im 17. Jahrhundert ein Erdstall auch das Ziel vieler Wallfahrer und Heilung suchender Menschen.
Die Zusammenschau der Belege zeigt, dass
- die Erdställe um 1100 aufkamen
- es für die Zeit vor 1000 keinen seriösen Nachweis für die Existenz von Erdställen gibt
- die Erdställe im 12. und 13. Jahrhundert ihre „Hochblüte“ hatten
- um 1500 Erdställe nicht mehr gebaut, sondern die Einstiege bereits wieder verfüllt wurden
- sich durch viele Funde belegen lässt, dass von ca. 1100 bis ca. 1945/50 die Erdställe immer wieder von Menschen benützt wurden
- bei kriegerischen Ereignissen im 17. und 18. Jahrhundert mehrere Personen in den Erdställen umkamen, weil die Häuser darüber abgebrannt wurden
- die Erdställe immer wieder als Zufluchtsanlagen und Versteck genutzt wurden. Diese Funktion übten sie nachweislich über Jahrhunderte hin aus. Die entscheidende Frage ist aber, ob die Erdställe bereits bei der Errichtung als Zufluchtsanlage und Versteck gedacht waren.
1 Anbieten würde sich beispielsweise der Erdstall im Hausberg von Großriedenthal, Niederösterreich.
2 WEICHENBERGER, Josef: Signifikante Kennzeichen der Erdställe. In: Der Erdstall Nr. 30, Roding 2004. S. 89f.
3 Trebersdorf liegt in der Gemeinde Traitsching, Kreis Cham, Bayern.
4 SKORNICKA, Peter: C-14 Datierung der Holzkohle aus dem Erdstall in Trebersdorf. In: Der Erdstall 18, 1992, 4f.
5 Kühried liegt in der Gemeinde Teunz im Landkreis Schwandorf, Oberpfalz, Bayern.
6 BEILNER Thomas, SCHALLER Harald, FORSTER Peter: Der Erdstall Höcherlmühle, Gemeinde Teunz, Landkreis Schwandorf. In: Der Erdstall 30, Roding 2004, S. 13.
7 BEILNER Thomas, SCHALLER Harald: Anthrakologische Untersuchungen von Holzkohle aus dem Erdstall Höcherlmühle, Gemeinde Teunz, Landkreis Schwandorf. In: Der Erdstall 31, 2005, S. 15.
8 RÖSCH, Manfred: Pflanzenfunde aus dem hochmittelalterlichen Erdstall in Rot am See, Kreis Schwäbisch Hall. In: Der Erdstall 20, 1994, S. 44.
9 WEICHENBERGER, Josef: Alter einer Holzkohle aus dem Erdstall Bauernhofer in Bad Zell, Oberösterreich. In: Der Erdstall. Nr. 30, Roding 2004, S. 90.
10 MITTERMÜLLER, Andreas: Neue Erkenntnisse zum Erdstall Doblberg, Gde. Glonn, Lkr. Ebersberg. In: Der Erdstall. Nr. 38. Grass/Aying 2012. S. 61.
11 Bestimmung durch die Universität Hamburg, Fakultät 6, Fachbereich Geowissenschaften, Institut für Bodenkunde, Isotopendatierungslabor Dr. Peter Becker-Heidmann, Labornummer HAM-3975, Protokoll 205 vom 15. April 2011.
12 Besten Dank an Herrn Dr. Michael Grabner, Universität für Bodenkultur Wien, Institut für Holzforschung in Tulln.
13 FELGENHAUER, Fritz: Der Hausberg zu Gaiselberg. In: Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 1, Wien 1973, S. 59-99.
14 BEDNARIK, Edith: Der Erdstall im Hausberg bei Großriedenthal. Fundberichte aus Österreich 20, Wien 1981, S. 9-15. BEDNARIK, Edith: Der Erdstall im Hausberg bei Großriedenthal, Niederösterreich. In: Der Erdstall 19, Roding 1993, 96-101.
15 NEUGEBAUER, Johannes-Wolfgang: Wehranlagen, Wallburgen, Herrensitze sowie sonstige Befestigungen und Grabhügel der Urzeit, des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit im pol. Bezirk Mistelbach, mit Hinweisen auf benachbarte Erdställe, Wüstungen und Altstraßen. Veröffentlichungen der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Ur- und Frühgeschichte XI-XII, Wien 1979. S. 66f. u. 126f.
16 MACEK, Manfred: Überlegungen zum Erdstallproblem in Österreich am Beispiel der Hausberganlage von Althöflein, NÖ. Ungedr. Diplomarbeit GEWI-Fakultät, Universität Wien, Wien 1998.
17 PLACH Hans, KUBES Karl: Die Wehrkirche in Kleinzwettl – eine geschichtliche und kunstgeschichtliche Dokumentation. Arbeitsberichte des Kultur- und Museumsvereines Thaya 2/3, 1981, 109-117.
18 MENGHIN, Oswald: Über das Alter der Erdställe und Hausberge. In: Wiener Prähistorische Zeitschrift. III. Jg., Wien 1916. S. 103f.
19 SCHWARZFISCHER, Karl: Die Erdställe aus der Sicht der mittelalterlichen Besiedlung. In: Der Erdstall, Nr. 8. Roding 1982. S. 4–40, insbesondere S. 8.
20 Oberösterreichisches Landesarchiv, Starhemberger Urkunden, Urkunde Nr. 126.
21 FELGENHAUER-SCHMIEDT, Sabine: Hard. Ein Wüstungskomplex bei Thaya im niederösterreichischen Waldviertel. Archäologische Forschungen in Niederösterreich 6, St. Pölten 2008. S. 78 u. 152.
22 Siehe den Beitrag von Martin KRENN in diesem Heft.
23 Trassenarchäologie. Fundberichte aus Österreich, Materialhefte Reihe A, Sonderheft 4. Wien 2006. S. 31.
24 NEKUDA, Vladimir: Erdställe in den mittelalterlichen Wüstungen Mährens. In: Der Erdstall. Nr. 18. Roding 1992. S. 25–42.
25 SCHWARZFISCHER, Karl: Heinweise aus Kleinfunden in Erdställen. In: Der Erdstall. Nr. 6. Roding 1980. S. 57–94.
26 SCHWARZFISCHER, Karl: Heinweise aus Kleinfunden in Erdställen. In: Der Erdstall. Nr. 6. Roding 1980. S. 57–94. Umrechnung der Prozentwerte durch Josef Weichenberger.
27 WEICHENBERGER, Josef: Keramikfunde in Erdställen. In: DIMT, Gunter: Fundkeramik aus Erdställen und Abfallgruben. Katalog des OÖ Landesmuseums. N.F. Bd. 38. Linz 1991. S. 5-10.
28 WEICHENBERGER, Josef: Zeitstellung der österreichischen Erdställe. In: Der Erdstall. Nr. 29, Roding 2003. S. 55.
29 WEICHENBERGER, Josef: Keramikfunde in Erdställen. In: DIMT, Gunter: Fundkeramik aus Erdställen und Abfallgruben. Katalog des OÖ Landesmuseums. N.F. Bd. 38. Linz 1991. S. 5-10.
30 MENGHIN, Oswald: Über das Alter der Erdställe und Hausberge. In: Wiener Prähistorische Zeitschrift. Wien 1916. S. 106.
31 NEUGEBAUER, Johannes-Wolfgang: Ein Erdstall in Stützenhofen, Gem. Drasenhofen, NÖ. In: Fundberichte aus Österreich. Bd. 21, 1982. Wien 1983. S. 98f.
32 HANDEL-MAZZETTI, V. Fr. v.: Zur Erdstallfrage. In: Monatsblatt des Vereines für Landeskunde von Niederösterreich. Wien 1911. S. 377.
SCHWARZFISCHER, Karl: Dokumente aus den Jahren 1449 und 1580 für Erdställe in Österreich. In: Der Erdstall, Nr. 9, Roding 1983. S. 76–80.
33 ROTBAUER, Augus: Amtliche Beschau eines Erdstalls im Jahre 1580. In: Unsere Heimat. 22, 1951. S. 19-21. REITINGER, Josef: Oberösterreich in vor- und frühgeschichtlicher Zeit. Linz 1969. S. 418.
SCHWARZFISCHER, Karl: Dokumente aus den Jahren 1449 und 1580 für Erdställe in Österreich. In: Der Erdstall, Nr. 9, Roding 1983. S. 76–80.
34 SCHWARZFISCHER, Karl: Die Kreuzgruft zu Reichersdorf. In: Der Erdstall Nr. 2, Roding 1976. S. 70-90.
35 SCHULLING, Peter: Tod im Erdstall. In: Der Erdstall 31, 2005. S. 76.
Der Matrikeneintrag findet sich im Internet: www.matricula-online.eu, AT Wien, Pfarre Zistersdorf, Sterbebuch Bd. 03/03, Seite 171f.
36 SCHILLING, Peter: Tod im Erdstall. In: Der Erdstall 31, 2005. S. 75.
37 REITINGER, Josef: Oberösterreich in ur- und frühgeschichtlicher Zeit. Linz 1969. S. 418.
38 FRITSCH Erhard, HUBER Matthias: Zwei Schardenberger Erdställe: bei der Familie Schano (Broad z‘ Neudorf) und bei der Pfarrkirche. In: Der Bundschuh. Heimatkundliches aus dem Inn- und Hausruckviertel. Bd. 14. Ried 2011. S. 10–14.
39 WEICHENBERGER, Josef: Keramikfunde in Erdställen, Katalog des OÖ Landesmuseums N. F. 38, Linz 1991, 5-10.
40 Zum Thema des Bevölkerungswachstums ab 1500 siehe u.a. PFISTER Christian: Bevölkerungsgeschichte und historische Demographie 1500–1800. Oldenburg 2007.
41 KARNER, Lambert, Künstliche Höhlen in Niederösterreich. In: Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien XI, 1882, S. 126.
42 KARNER, Lambert: Künstliche Höhlen aus alter Zeit. Wien 1903. S. 222f.
KARNER, Lambert: Neue Beiträge zur Kenntnis der Erdställe in Niederösterreich. In: Monatsblatt des Vereines für Landeskunde von Niederösterreich. Wien 1909. S. 312.
KIESSLING, Franz: Rätsel der Erdställe. Wien 1925. S. 23 u. 40f.
SCHWARZFISCHER, Karl: Zur Frage der Schrazellöcher oder Erdställe. Weiden 1968. S. 85 – 94. Schwarzfischer revidierte allerdings später diese Alterszuordnung anhand neuer Erkenntnisse und erkannte, dass der Bau der Erdställe Hand in Hand ging mit der mittelalterlichen Besiedlung, siehe SCHWARZFISCHER Karl: Erdställe als Kultstätten? In: Der Erdstall. Nr. 19. Roding 1993. S. 21.
KUSCH, Heinrich u. Ingrid: Tore zur Unterwelt. Das Geheimnis der unterirdischen Gänge aus uralter Zeit … Graz 2009.
43 WEICHENBERGER, Josef: Zeitstellung der österreichischen Erdställe. In: Der Erdstall 29, 2003, S. 55.
Abbildungsnachweis
Abb. 1: Foto: Erhard Fritsch, Landesverein für Höhlenkunde in Oberösterreich
Abb. 2: Foto: Josef Weichenberger, OÖ Landesarchiv und Landesverein für Höhlenkunde in OÖ
Abb. 3: Foto: Erhard Fritsch, Landesverein für Höhlenkunde in Oberösterreich
Abb. 4: Foto: Josef Weichenberger, OÖ Landesarchiv und Landesverein für Höhlenkunde in OÖ
Abb. 5: Quelle: Oberösterreichisches Landesarchiv, Starhemberger Urkunden, Urkunde Nr. 126.
Abb. 6: Foto: Erhard Fritsch, Landesverein für Höhlenkunde in Oberösterreich
Abb. 7: Foto: Erhard Fritsch, Landesverein für Höhlenkunde in Oberösterreich
Abb. 8: Foto: Josef Weichenberger
Abb. 9: Foto: BDA, Neugebauer; aus: NEUGEBAUER, Johannes-Wolfgang: Ein Erdstall in Stützenhofen, Gem. Drasenhofen, NÖ. In: Fundberichte aus Österreich. Bd. 21, 1982. Wien 1983. S. 104.
Abb. 10: Foto: Josef Weichenberger, OÖ Landesarchiv u. Landesverein für Höhlenkunde in OÖ
Abb. 11: Foto: Josef Weichenberger, OÖ Landesarchiv u. Landesverein für Höhlenkunde in OÖ
Abb. 12: Quelle: Digitale Matriken von Zistersdorf (Niederösterreich), im Internet unter matricula-online.eu verfügbar.
Abb. 13: Quelle: Digitale Matriken von Zistersdorf (Niederösterreich), im Internet unter matricula-online.eu verfügbar.