DER ERDSTALL, Heft 8, Roding 1982

Der Erdstall“ ist die Jahresschrift des Arbeitskreis für Erdstallforschung. Sie erscheint seit dem Jahr 1975 und enthält Fachartikel zu künstlichen Höhlen und informiert über aktuelle Forschungsergebnisse.

Diese Seite bietet eine Übersicht und kurze Zusammenfassung der Inhalte.

Ausgaben von DER ERDSTALL können beim Arbeitskreis für Erdstallforschung bestellt werden (einige ältere Hefte sind bereits vergriffen).

Inhaltsverzeichnis

Karl Schwarzfischer: Die Erdställe aus der Sicht der mittelalterlichen Besiedlung. S. 4–40

Otto Huth: Die Kulthöhle II. Zur Religionsgeschichte der Unterwelt. S. 41–49

Max Poitel: Souterrains der Beauce in Frankreich. S. 50–67

Heinz Josef Unger: Stollen unter dem Pfarrhaus auf Bogenberg im Landkr. Straubing-Bogen. S. 68–76

Heinz Josef Unger: Der Erdstall Spanberg b. Eggenfelden im Landkreis Rottal-Inn. S. 77–79

Regina Glatthaar: Der Erdstall im Götzelhof, Landkreis Cham. S. 80–90

Werner Endres: Keramikfunde aus dem Erdstall Neukirchen-Balbini, Hs.-Nr. 6. Landkreis Schwandorf. S. 91–107

Resi Schwarzfischer: Kurzberichte aus dem Jahre 1981. S. 108–114

Dorothée Kleinmann: Das XI. Internationale Symposium der S.F.E.S. in Villeneuve-sur-Lot vom 11.–14.Juli 1981. S. 115–119

Satzung des Arbeitskreises für Erdstallforschung. S. 120–121

Einladung zum XII. Internationalen Symposium in Auneau/Frankreich. S. 122

Nachweis der Abbildungen. S. 123

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Exzerpte von Heike Gems-Müller

Erdställe

S. 80–89: Götzelhof (Rimbach) / Lkr. Cham, Oberpfalz (nach Beschreibung von R. Glatthaar): Die komplexe, sich über zwei Ebenen erstreckende Erdstallanlage auf dem Gelände eines Einödhofs ist bereits in der Literatur des 19. Jahrhunderts beschrieben worden. Durch einen Einstieg (wahrscheinlich nicht der ursprüngliche Zugang) im Boden eines Schuppens erreichte man mittels einer Leiter einen 2 m tiefer liegenden Felsabsatz, von welchem aus ein zuerst senkrecht, dann waagerecht verlaufender Schlupf auf die untere der beiden Erdstallebenen führte, und zwar in eine etwa 3 m lange und bis zu 2 m breite Kammer. Durch einen Horizontalschlupf am nordwestlichen Ende dieser Kammer sowie durch einen Vertikalschlupf in ihrer Decke konnte man in die anderen Teile des Erdstalls gelangen: Während sich hinter dem Horizontalschlupf ein 4 m langer Gang, ein schräg aufwärts verlaufender Schlupf und eine weitere Kammer mit zwei großen Nischen sowie einem an die Erdoberfläche führenden, verfüllten Schacht befanden, bildete der Schlupf in der Kammerdecke den Eingang zur oberen Erdstallebene. Diese bestand im Wesentlichen aus zwei Gängen: Ein nach Norden gerichteter, rund 3 m langer Gang endete an einer erst im 20. Jahrhundert gebauten Trockenmauer, hinter der sich laut einer aus dem Jahr 1878 stammenden Beschreibung eine fast 3 m hohe Rundkammer befunden habe, an deren Wänden ringsum 5–6 Sitznischen angebracht gewesen wären. Durch einen an der östlichen Gangseite befindlichen Horizontalschlupf gelangte man in den zweiten Gang, der in südliche Richtung verlief, in seinem mittleren Teil durch eine waagerechte Schlupfröhre verengt war, zwei große Wandnischen aufwies und an seinem Ende einen aufwärts führenden Schlupf mit einem Durchmesser von ca. 50 cm besaß, der teilweise verfüllt und oben verschlossen war. Mit Lageplan, Grundrissen, Querschnitten, Erdstallplan (Grundriss u. Querschnitt) aus dem Jahr 1894 und Fotos.

Erdstallähnliche Anlagen / Mögliche Erdstallfragmente

S. 68–75: Bogenberg (Bogen) / Lkr. Straubing-Bogen, Niederbayern (nach Beschreibung von H. Unger): Bei Renovierungsarbeiten entdeckte man im Keller des nördlich der Kirche gelegenen Pfarrhauses auf dem Bogenberg einen Stollen, der 1980 vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege aufgenommen wurde. Der teilweise überschwemmte Stollen, der am südlichen Rand des Kellerbereichs nach dem Durchbrechen einer Mauer zutage trat, verlief unter dem Friedhof geradlinig 16,5 m in südwestliche Richtung. Nach etwa 7,5 m erreichte man eine Kreuzung. Von dort führte ein nach 7,6 m blind endender Stollen nach Südosten, während ein weiterer nach Westen abzweigte. Der westliche Stollen, in den man erst nach Überwindung eines künstlich in eine Vermauerung gehauenen Durchschlupfs gelangte, war in einem Abschnitt von 4,5 m Länge stark verbrochen. Danach verengte er sich deutlich und wies auf einer 8,5 m langen Strecke mit 0,65 m Breite und 1,75 m Höhe einen wesentlich kleineren Querschnitt als die meisten anderen Stollenbereiche der gesamten Anlage auf. Das sich daran anschließende letzte Stollenteilstück besaß im Unterschied zu den anderen Stollenabschnitten dieser Anlage, die unausgemauert mittels Schrämmtechnik in den anstehenden mürben Gneis getrieben worden waren, eine aus Ziegelsteinen gefertigte Ausmauerung und führt einst vermutlich ins Freie. Mit Lageplan, Grundriss des Pfarrhauses und der unterirdischen Stollen, zahlreichen Stollenquerschnitten und Fotos.

S. 77–79: Spanberg (Eggenfelden) / Lkr. Rottal-Inn, Niederbayern (nach Beschreibung von H. Unger): Unweit eines landwirtschaftlichen Anwesens hatte ein Traktoreinbruch 1980 zur Entdeckung eines in Lösslehm angelegten Stollens geführt. Seine Erkundung erwies sich als schwierig, da er nicht nur weitgehend unter Wasser stand, sondern „mit Lehm und Schluff bis 40 cm unter die Firste zugeschlemmt“ war. Die daher nur in begrenztem Maße mögliche Befahrung ergab, dass der rund 40 cm breite und ursprünglich wohl kaum mehr als 70 cm hohe Gang nordwestlich der Einbruchstelle im rechten Winkel auf einen weiteren Stollen stieß, der in keine seiner beiden Richtungen weiter verfolgt werden konnt. Mit Lageplan.

Funde

S. 75: Bogenberg (Bogen) / Lkr. Straubing-Bogen, Niederbayern (H. Unger): Westlich der Stollenkreuzung wurde Keramik gefunden, die sich dem 15. bis 16. Jahrhundert, bei einem Scherben womöglich sogar dem 12. Jahrhundert, zuordnen ließ.

S. 86: Götzelhof (Rimbach) / Lkr. Cham, Oberpfalz (R. Glatthaar): An seinem südlichen Ende war der in der oberen Erdstallebene gelegene, nach Süden verlaufende Gang wie auch der dort befindliche aufwärts führende Schlupf zum Teil verfüllt. Im Auffüllmaterial befanden sich Holzkohlestückchen und Scherben.
Außerdem habe man im Erdstall angeblich, so H. Lindner (Bayer. Vorgeschichtsblätter 24/1959, S. 247), „kleine, runde, ungeprägte Silberplättchen“ gefunden, die aber nicht aufbewahrt worden seien.

S. 91–107: Neukirchen-Balbini, Haus-Nr. 6 / Lkr. Schwandorf, Oberpfalz (W. Endres): Die in der Erdstalleingangsverfüllung gefundenen, zahlreichen Keramikscherben ließen sich nur in eine sehr breite Zeitspanne einordnen, da sie entweder Gefäß- und Dekorformen aufwiesen, die zeitlich und geografisch weitgehend unspezifisch sowie in der Farbgebung ihrer Glasuren ubiquitär waren, oder es sich um Warengruppen handelte, für die in der Region noch keine Beispiele wissenschaftlich beschrieben worden waren. So reicht die Datierung vom 17. Jahrhundert bis in das frühe 20. Jahrhundert, wobei ein „schwaches Maximum“ im Bereich der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vorliegen könnte.
Zu dem Fundkomplex gehörte sowohl unglasierte Irdenware (z. B. das Fragment einer Öllampe, ein Deckelfragment und einige Wandscherben) als auch glasierte Irdenware, und zwar sowohl einfarbige, in braun/gelben oder grünen Farbtönen glasierte Bruchstücke (u. a. von napfschüsselartigen Gefäßen, Tellern, Töpfen) als auch polychrome, glasierte Malhornware (Teller, Schalen, ein Henkeltopf). Siehe auch: DER ERDSTALL 7.

Deutung der Erdstallzweckbestimmung

S. 26 – 34: K. Schwarzfischer erläutert seine Ansichten zur Zweckbestimmung von Erdställen:

  • Trotz der Lokalidentität von Erdställen mit Siedlungen sei die Deutung als Zufluchtsorte oder Fluchtgänge in Zweifel zu ziehen, dagegen sprächen ihre räumliche Enge (Unpassierbarkeit für korpulente, alte und kranke Menschen), das Fehlen von Feuerstätten und Belüftungsvorrichtungen, jahreszeitlich bedingte Überschwemmungen sowie die Gefährdung schutzsuchender Personen im Brandfall, v. a. angesichts des Fehlens zusätzlicher Ausgänge.
  • Als Verstecke bzw. Vorratskammern könne man Erdställe nicht interpretieren, und zwar wegen ihrer labyrinthartigen Bauweise mit engen Schlupflöchern, die für das Verbergen weniger Habseligkeiten unangemessen und für das Einbringen größerer Güter ungeeignet sei, aufgrund des Umstands, dass man darin kaum Wertgegenstände gefunden habe, wegen des Fehlens von Lagerräumen im eigentlichen Sinne, wegen der zahlreichen Innenverschlüsse sowie angesichts von Feuchtigkeit und Überschwemmungen.
  • Um Grabstätten könne es sich nicht handeln, weil menschliche Gebeine fehlten und zur Entstehungszeit der Erdställe ein kirchliches Begräbnis vorgeschrieben gewesen sei.
  • K. Schwarzfischer favorisierte die Hypothese, dass Erdställe als Totenkultstätten erbaut worden seien, d. h. als neue „Heimstätten für die Geister der von den Siedlern zurückgelassenen Toten“.  Ein Erdstall sei demzufolge eine Art Leergrab oder Kenotaph. Die Zwerge, die vielerorts in der Sagenwelt mit Erdstallanlagen in Verbindung gebracht werden, könnten als Totengeister gedeutet werden.

Historischer Kontext

S. 4–26: K. Schwarzfischer hat mit statistischen Mitteln Zusammenhänge zwischen dem Verteilungsmuster der Erdställe in Bayern und der mittelalterlichen Besiedlungsgeschichte im Erdstallverbreitungsgebiet untersucht.
Auf der Grundlage des Kurzinventars der Erdställe in Bayern (siehe DER ERDSTALL 7) ist von K. Schwarzfischer Datenmaterial zur Verbreitung der Erdställe, zu ihrer Verteilung nach Ortsgrößen, zu Gegebenheiten ihrer topografischen Lage, zur Verbindung von Erdställen und bäuerlichen Siedlungen bzw. Hofstellen und zu Namenstypen von Erdstallorten erarbeitet worden.

Anhand dieser Erhebungen gelangt Schwarzfischer zu folgenden Ergebnissen:

  • Mehr als zwei Drittel der Erdstallorte liegen nördlich der Donau (Ähnliches gilt für Österreich).
  • Die überwiegende Zahl der Erdställe ist an kleine bäuerliche Siedlungen gebunden.
  • Innerhalb von Ortschaften findet man Erdställe meist in „siedlungsgünstiger Lage“, d. h. an denjenigen Plätzen, die sich am besten zur Siedlungsgründung geeignet haben. Siedlungsfeindliche Gebiete und Höhenlagen über 800 m sind frei von Erdställen.
  • „Lokalidentität zwischen Erdstall und Hofstatt“: Erdställe stehen sehr häufig in Verbindung mit alten Gehöften. Erdställe bei Kirchen, Friedhöfen oder Burgen stellten insofern keine Ausnahme dar, als sie ursprünglich zu siedlungsgeschichtlich älteren Bauernhöfen gehörten, auf deren Standorten die betreffenden Kirchenbauten oder Burganlagen errichtet worden seien.
  • Nur wenige Höfe einer Ansiedlung besaßen einen Erdstall.
  • Erdställe gibt es in Siedlungen, die ausgehend von ihren Ortsnamen in der Zeit zwischen dem 8. Jahrhundert und der ausgehenden Rodungsperiode gegründet worden sind.
  • Mit Ausnahme der Chamer Bucht kommen Erdställe im bayerischen Altsiedelland nur selten vor.
  • „Siedlungsgeschichtliche Eckwerte für den Bau der Erdställe“ bildeten zum einen die Entstehung des Erdstalls in Roding (siehe DER ERDSTALL 2), die vor der Errichtung der dortigen Königspfalz, deren erste schriftliche Erwähnung aus dem Jahr 844 stammt, zu datieren sei, und zum anderen der Bau der Erdställe der Wüstung Pfaffenschlag in Mähren (siehe DER ERDSTALL 18), der zeitlich ins letzte Viertel des 13. Jahrhunderts eingeordnet werden kann.

Karten

S. 17: Verbreitung der Erdställe und der Reihengräber des 6.– 9. Jahrhunderts in Bayern.