Merkwürdige Phänomene

Im Juli 2010 ist in der Publikation „Beiträge zur Höhlen- und Karstkunde in Südwestdeutschland“ ein Beitrag von Thomas Rathgeber über das Buch „Tore zur Unterwelt“ von Heinrich und Ingrid Kusch erschienen.
Der Artikel kann hier als PDF heruntergeladen werden und wird auf dieser Website mit freundlicher Genehmigung des Autors publiziert:

Hinweis auf ein Buch über Erdställe, Höhlen und merkwürdige Phänomene

Thomas Rathgeber

Das mit großem Aufwand auch weit jenseits des behandelten Gebietes, der Steiermark, beworbene Buch „Tore zur Unterwelt“ ist reich bebildert und dürfte schon allein deshalb jeden an unterirdischen Hohlräumen Interessierten ansprechen. Der Klappentext verspricht Spannung bis zur letzten Seite sowie faszinierende Tatsachen und redet dem Leser – wenn auch mit einem Fragezeichen – ein, dass aufgrund der dar gestellten Befunde ein Teilbereich „der
steirischen und europäischen Vorgeschichte neu geschrieben werden“ müsse.

In dem Gemeinschaftswerk von HEINRICH & INGRID KUSCH geht es zunächst um die „Erdställe“, also um von den Menschen früherer Zeiten in Fest- oder Lockergesteinen angelegte, meist kleindimensionierte Hohlräume von bis heute unbekanntem Zweck. Nannte LAMPERT KARNER, der Altmeister der Erdstallforschung, sein Buch noch „Künstliche Höhlen aus alter Zeit“, setzt das Autorenpaar jetzt eins drauf und redet gleich im Untertitel von „unterirdischen
Gängen aus uralter Zeit“. Als Beleg für eine Älterdatierung – zu erschließen ist die Jungsteinzeit – muss ein in einem Erdstall gefundenes Bruchstück einer Silexklinge herhalten (Abb. 40). Dieses stammt aber offensichtlich von einem viel jüngeren Flintenfeuerstein. An der Textstelle, die auf diese Abbildung Bezug nimmt, heißt es dann zwar lediglich „aus der prähistorischen Zeit“, doch die Fundstelle soll sich in einem „wahrscheinlich im Neolithikum
erweiterten Erdstallgang“ befunden haben. Dieser müsste nach Meinung der Autoren folglich zuvor – in einem früheren Abschnitt der Jungsteinzeit, in der Mittelsteinzeit oder gar in der Altsteinzeit? – angelegt worden sein, was alles wenig plausibel erscheint.

Das „teilbelegte Gangnetz unter dem Stiftskomplex Vorau“ (Abb. 61 und hinterer Schutzumschlag) wirkt wie am Computer entworfen. Großes Vertrauen wird man in eine Planskizze aus einer Kanonenkugel wohl nicht setzen dürfen, denn die angeblich dargestellten Gänge lassen sich bestenfalls ansatzweise belegen. Jedenfalls vermisst man eine aussagekräftige Dokumentation eines längeren Gangabschnittes.
Im 5. Kapitel „Ein österreichisches Stonehenge?“ geht es um große Steine in der Landschaft. Warum ein rund zugehauener Stein (Abb. 91) kein Mühlsteinrohling sein soll, erschließt sich nicht. Andererseits zeigt ein „schön bearbeiteter Stein“ (Abb. 90) deutlich eine leichte, tektonisch bedingte Faltung, ist also in dieser Hinsicht ein Naturprodukt. Mit den geheimnisvollen Leuchterscheinungen an Menhiren (Abb. 128-130) betreten die Autoren dann endgültig den Boden von Esoterik und moderner Geomantie.

Das 8. und vorletzte Kapitel widmet sich den Höhlen im Tannebenstock zwischen Pegau und Semriach. Ein bei den Forschungen festgestelltes „ungeklärtes archäologisches Phänomen“ wird sogleich mit den künstlichen unterirdischen Gängen andernorts in Verbindung gebracht. Bei diesem Phänomen geht um einen Kalksinterplattenabbau in der altbekannten Lurgrotte, der dort während der ausgehenden Jungsteinzeit betrieben worden soll. Auch gute Bilder bedürfen einer Erläuterung. Deshalb ist es ein Unding, Abbildungstexte so auf die Bildfläche zu setzen, dass sie kaum oder gar nicht lesbar sind (besonders bei der Abbildung auf S. 12, Abb. 37 und Abb. 81). Viele gute, mehrfach allerdings nicht zum Thema gehörende Bilder vermögen eigentlich die vielen Fragezeichen und Spekulationen nicht auszugleichen, die der Text und die dahinter stehende Botschaft vermitteln. Zurück bleibt beim Leser ein Gefühl der Unzufriedenheit, ja er fühlt sich getäuscht, da so vieles – wie auch das letzte Bild des Buches – in einer „mystisch anmutenden Nebellandschaft“ bleibt.

KUSCH, HEINRICH UND INGRID (2009): Tore zur Unterwelt. Das Geheimnis der unterirdischen Gänge aus uralter Zeit … – 208 Seiten, 210 nummerierte und weitere Abbildungen; Graz (Leopold Stocker Verlag V. F. Sammler). ISB-Nummer 978-3-85365-237-4. Format 30,5 cm x 22,5 cm. Preis 29,90 €

Mit freundlicher Genehmigung des Autors
Thomas Rathgeber (Präparator)
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